mauser
biographie    werkgruppen    texte


TEXTE
 
„Alles im Nichts – Atelierbesuch bei mauser“ (Armine Haase)


„Ein Versuch über mausers Lichtfrescen“ (Burkhard Schlothauer)

„mauser – transparenz als form; versuch einer näherung“ (Marianne Hambach)

„Predigt über die „Schriftbögen“ von Mauser“ (Rolf Theobold)(pdf)



ALLES IM NICHTS

Atelierbesuch bei dem Bildhauer Mauser

Man tritt in sein Atelier und taucht in eine andere Welt ein. Die festen Umgrenzungen, auf die wir uns sonst verlassen und an die wir uns so gerne halten, zerfließen, lösen sich auf in Licht, Weiß - und, paradoxerweise, klaren Konturen. Verwirrung ist eine gute Voraussetzung, um Neues zu erfahren. Ein Besuch bei Mauser in der Ürdinger Straße ist ein Abenteuer der besten Art.

Mauser -  Vor- und Nachname sind derselbe -  ist höflich und direkt zugleich. Er wird den Besucher sehr bald fragen, was er von den im Atelier aufgestellten Arbeiten hält, von den weißen Skulpturen, den weißen Bildern. Dieser Augenblick der Entscheidung, zu antworten, obwohl man gar nicht darauf vorbereitet ist, oder zu schweigen, was Mauser selbstverständlich akzeptiert, diese kleine Ewigkeit des Zögerns, nach der man sich entschließt, in das weiße Bodenlose zu stürzen, der Moment ist auch im Rückblick spannend.

Seine Skulpturen und Bilder entstehen nach dem Zufallsprinzip: Die Flächen -übereinandergestapelt für die Skulpturen oder nebeneinander an der Wand befestigt für die Bilder - haben unterschiedliche Maße, da sie von unterschiedlichen Zahlen bestimmt wurden. Das Element Zufall und die fest umrissenen Formen der Skulpturen und Bilder auf einen gedanklichen Nenner zu bringen, ist Inhalt des Abenteuers, auf das man sich mit einem Besuch in Mausers Atelier einläßt.

Nachvollziehbar wird der Vorgang, wenn man weiß, daß Mauser das »I Ging«, das »Buch der Wandlungen«, zur Grundlage seiner Formbestimmung macht. So wie John Cage unter anderem in seiner »Music of Changes« mit Zufallsoperationen, die auf dem »I Ging« beruhen, die Ästhetik der Musik revolutionierte, so möchte Mauser die Bindung an traditionelle Kunstbegriffe wie »harmonisch, formal, geplant« aufheben. Der Bildhauer entscheidet sich für das Material - in vielen Schichten weiß bemalte Holzplatten-und, schon bedingt, für dessen Maße. Welche Formen das Material dann annimmt, bestimmen die 64 Hexagramme des »I Ging« mit Hilfe des Werfens von Münzen. Das heißt: Die Formen können - zufallsbestimmt - variieren zwischen einer und vierundsechzig weißen Flächen.

»Ich möchte, daß die Arbeiten offen sind, daß man an ihnen vorbeigehen kann, ohne stehenbleiben zu müssen: Vorübergehen und konzentrieren können auf das wenige, was sichtbar ist.« So Mauser. Er weiß um die Zen-Weisheit des »Alles im Nichts« und der »Fülle in der Leere«. Mauser - Ende Fünfzig, mit aufmerksamem Blick und ruhigen Bewegungen - zitiert Buckminster Fuller: »Sand von einem Teil des Strandes zum anderen tragen«.

Daß der Eindruck, den Mausers Arbeiten hinterlassen, nicht nur bestimmt wird von dem »Geheimnis« des Zufalls und dessen prinziplosem Prinzip, sondern durchaus von der physischen Präsenz der Dinge, das ist die Stärke der Arbeit. Zurückhaltend und doch sehr konkret fordern die Skulpturen den Besucher heraus, sich als ihr Gegenüber zu erkennen zu geben. Die Geduld, die dazu nötig ist, lohnt es sich aufzubringen.
 
(Amine Haase)




nach oben




Nichtbild – Lichtbild     
nicht malen – Licht malt
 
Ein Versuch über Mausers Lichtfrescen
 
Der etwa 40 m² große ebenerdige rechteckige Hauptraum von Mausers Atelierremise in einem Kölner Hinterhof ist bis auf einen kleinen Tisch und drei Stühle vollkommen leer. Weiße, glatt verputzte Wände, grau gestrichener Zementboden, auf der Eingangsseite große Fenster, 2 Oberlichter in der leicht schrägen, etwa 4m hohen Decke.

Mitten im Raum liegen acht, augenscheinlich handgefertigte und gebrannte Tonscheiben, 32 cm * 42 cm in den Maßen und 4 cm stark. Rotbraun, erdfarben, an Terracottafliesen erinnernd, ordentlich aufeinander gestapelt, als hätte ein Handwerker hier sein Material, sauber auf die Raumkoordinaten bezogen, abgelegt.

Die Platten, aus einfachem Ziegelei-Ton geformt, sind nicht völlig gleich, sie sind geworfen, ihre Flächen leicht gebeult. Weich abgerundete Ränder zeugen von bewusster händischer Gestaltgebung, ohne dass die Tafeln Spuren von künstlerischem Gestus und Wollen tragen. In Größe und Form erinnern sie an die Jahrtausende alten Keilschrifttafeln des Zweistromlandes, in deren feuchten Ton Schriftzeichen und Symbole geritzt und gedrückt wurden. Während sich deren Inhalte nach der Trocknung bis in die heutige Zeit erhalten konnten - Ton ist bei entsprechender Behandlung ein sehr dauerhaftes Material – ist das eigenartige an Mausers Tontafeln, dass sie Träger von Nichts sind:
Nichts ist auf ihnen festgehalten und Nichts wird durch sie konserviert. Gestapelt ergeben sie eine liebevoll angefertigte Bibliothek des Nichts.
        
Erst nach längerem Verweilen im Raum werden auf der weißen Längswand des Raumes fünf rechteckige ebenfalls weiße Farbflächen von seidener Textur  sichtbar. Diese reflektieren das Licht auf andere Weise als die glatte Wand. Bewegt man sich auf sie zu, um das Geheimnis ihrer Beschaffenheit zu ergründen, stellt man fest, dass fünf 113 * 86 cm große Flächen aus Japanbütten direkt auf den Putz aufgeklebt und in die Wand hineingearbeitet wurden – das Papier nimmt durch seine transparente Leichtigkeit die Unebenheiten der Fläche auf und gleicht sie aus.

Die Bögen an der Wand sind tastbar, in ihrer Textur und Oberflächenbeschaffenheit vom umgebenden Wandputz unterscheidbar.
           
Die Blätter sind in Augenhöhe aufgebracht – in jeweils gleichen Abständen zwischen den Papierflächen, aber in verschiedenen Abständen zur rechten bzw. linken Ecke der beklebten Wand. Sie befinden sich in einer eigenartigen asymmetrischen Balance. Die faszinierende Schönheit dieser, von Mauser Lichtfrescen getauften Arbeit erschließt sich in ihrer Tiefe und Variabilität erst über längere Zeit und durch wiederholtes Beobachten.


Sich in Helligkeit und Farbe verändernd, lässt das Licht des Tages, die einzelnen Flächen in unzähligen verschiedenen Weißtönen und ständig sich verschiebender Dominanz erklingen, unterschiedlich reflektieren, manchmal mattschimmernd glänzen, bisweilen löst es die Grenzen zwischen Bogen und Wand auf und lässt vergessen, dass da etwas ist.


Leere Blätter ermöglichen dem Tag, sich selbst zu beschreiben, seinen Verlauf darzustellen; sie sind variable Bilder, offen für Zeit und Licht. Das Weiß gibt die Welt zurück –  die Welt im Spiegel, einem filternden  Spiegel, einem Lichtspiegel ohne Bild -  Weiß, die einen Großteil des Lichtes reflektierende Nichtfarbe.


Lichtpartikel, Photonen sind die im Universum am häufigsten vorkommenden Teilchen. Sie sind quasi überall, sie ermöglichen uns das Sehen und werden doch in ihrer Existenz von uns im Alltag nicht wahrgenommen. Durch die Lichtfrescen wird das Licht selbst zum bildnerischen Material, der leere Bildträger wird zu einem Lichtgefäß: Mausers Lichtfrescen machen das Licht sichtbar, sie ermöglichen uns, das in der Welt der reflektierenden Dinge allzu oft vergessene Medium des Sehvorgangs wahrzunehmen.

Mauser malt nichts auf die Blätter und gibt durch dieses Nicht-Tun, dem Licht Form. Er lässt dem Licht die Möglichkeit selbst zu malen, in unendlicher Folge immer wieder neu, immer wieder frisch – die Lichtfrescen sind Lichtinstallationen. Zwar ist die Verwendung von Licht in der bildenden Kunst heute nichts Außergewöhnliches – meist wird künstliches Licht eingesetzt - aber in dieser weltoffenen, nichtintentionalen, Form ist mir nichts Vergleichbares bekannt.

Japanbütten als Material unterscheidet die Arbeiten Mausers signifikant von anderen Arbeiten auf der weißen Wand: es wird keine Farbe aufgebracht oder die Wand an sich in irgendeiner Weise bearbeitet, sondern ein anderes Material auf die Farbe, den Putz, die Tapete geklebt.

Mauser hat in seinen künstlerischen Anfängen das Bild aus einem Stein, einer geologischen Struktur herausfrottiert – heute frottiert er das Bild in die Wand hinein. Je nachdem wie uneben die Wand ist, ergeben sich minimale Lufteinschlüsse und Hohlräume hinter den Bögen. Weiterhin sind Mikrostruktur und Fasern der Bögen unregelmäßig. Teils werden die Lichtpartikel schon von der Oberfläche zurückgeworfen, teils dringen sie in die Bögen ein, einige dringen hindurch und werden erst von der dahinter liegenden Wand reflektiert. Die Verschiedenheit der bei der Betrachtung der Lichtfrescen in unserem Gehirn empfundenen Weißtöne lehrt uns, dass die Farbe eines Gegenstandes ganz wesentlich dadurch bestimmt wird, wie sein Material das auftretende Licht reflektiert und was für Licht auf ihn fällt. Insofern ist die Auswahl des transparenten Bütten mit seinen immanenten Eigenschaften und seiner speziellen Sinnlichkeit und seine Kombination mit der nackten, weiß gestrichenen Wand Voraussetzung für die beschriebenen Erfahrungen – die Lichtfescen sind Materialbilder.

Mausers Lichtfrescen können aber auch der Gattung der Installation zugerechnet werden: jeder Ort wird mit einer speziell auf die Beschaffenheit des Raumes abgestimmten Anzahl von Bögen spezieller Größe ausgestattet. Anlässlich der Ausstellung Zen in der westlichen Kunst im Museum Bochum wurde ein fünf Meter hoher und sechs Meter breiter Bogen knapp über dem Boden auf eine etwa sechs Meter hohe und sechs Meter breite Wand aufgebracht – die weiße Wand des Ausstellungsraumes wird in ihrer Gesamtheit zum Bild.

In einer Neubauwohnung in Haan befinden sich in einem asymetrischen Wohnzimmer mit Erker und runder Wandscheibe fünf Flächen von 53*42 cm auf verschiedenen Wänden, drei davon relativ dicht im Abstand von 42 cm nebeneinander in Augenhöhe auf der runden Wandscheibe, die beiden Anderen durch Möbel und dazwischen liegende Fenster vereinzelt. Auf der runden Wand wird die Differenz der Lichtfarbe bei unterschiedlichem Einfallwinkel besonders augenfällig – zur gleichen Zeit vom selben Standpunkt aus betrachtet, ergeben sich auf den verschiedenen Bögen sehr unterschiedliche Wirkungen: deutlich unterscheidbare Farbtöne von dunkelgrau über gelbweiß bis reinweiß.

Andernorts, ebenfalls in einer Wohnung befinden sich 8 Flächen von 13*20 cm in etwa 30 cm Höhe über dem Fußboden unauffällig an einer Seitenwand des Raumes neben der Tür.

Da bei den Lichtfrescen die Erhebung des Papiers von der Wand minimal ist, ist ein lang untersuchtes Thema der modernen Malerei ausgesprochen überzeugend gelöst. Zur Erläuterung: die Abstraktion hat seit Anfang  des 20.Jahrhunderts zu Bildern geführt, die keinen Gegenstand repräsentieren und somit nichts anderes mehr darstellen, als sie selbst sind – vorwiegend zweidimensionale Objekte, die meist mit farbigem Material beschichtet wurden. Der Objektcharakter machte die räumliche Ausdehnung des „Bildes“, seine Oberfläche und Materialität bewusst. Auch die Gestaltung des Bildrandes und des Übergangs zur Wand warf neue Fragen auf. Der Bilderrahmen wurde in seiner Funktion als Bildgrenze obsolet und die Frage, wie das Bild auf der Wand zu befestigen und zur Wandfläche ins Verhältnis zu setzen sei, beschäftigte viele Künstler.

Mauser, der sich in früheren Arbeiten mit dem Objektcharakter des Tafelbildes gründlich auseinander gesetzt hat, hat hier eine Möglichkeit entwickelt, die Fläche auf Fläche auflöst und das Problem mit vollkommener Leichtigkeit in die Nichtexistenz zurückfallen lässt.

Das Tafelbild hat sich aufgelöst und ist mit der Wand eins geworden. Die Wand wird zum Bild und dennoch bleibt der leere Bogen erkennbar etwas anderes als die Wand. Er strahlt, er öffnet die Wand, die Grenzen zwischen Bogen und Wand werden fließend. Wand und Bild sind untrennbar verbunden und doch unterscheidbar.
 
Mauser in einem Interview mit dem Autor:
Ich versuchte etwas zu schaffen, das man nicht sieht und das dennoch da ist. Lichtfresko. Das Licht wirkt ein auf die Papiere, Lichtwechsel. Ich habe mit dieser Arbeit einen Punkt erreicht, über den ich nicht herauskommen kann.“
 
Zum Ende des 20.Jahrhunderts manifestiert sich hier eine ähnlich radikale Aussage, wie die von Kasimir Malewitsch am Anfang des Jahrhunderts – weißes Quadrat auf weißem Grund, schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund.
Diese Arbeiten stellen einen Endpunkt der Malerei dar, wie ihn so kein anderer Künstler vor Mauser gesetzt hat – Malen endet im Nichtmalen.
 
(Burkhard Schlothauer)



nach oben



mauser - transparenz als form

versuch einer näherung

 
das zentrum von mausers künstlerischer tätigkeit der letzten jahre ist das schreiben; einschreiben und auflösen von heiligen texten, meist auf papier, ein künstlerisches prinzip, einem exerzitium ähnlich.in stetiger übung überträgt er die texte mit wachsstift, buchstabe an buchstabe, ohne zwischenräume und satzzeichen, regelmässig auf papier. die festgelegten proportionen von büttenbogen und buchstabengrösse bestimmen den schreibrhythmus.so in-formiert er das material, um diese information ebenso sorgfältig wieder aufzulösen, sobald das sich ergebende rechteck vollständig beschrieben ist.

die schriftzeichen als träger von inhalten, bedeutungen werden aufgelöst. zurück bleibt, erkennbar der raum der handlung, wie eine offene bühne, nicht leer und doch transparent für den betrachter, der nicht mehr an die worte, botschaften, die handelnde person gebunden ist.

zunächst bewusst aufgeladen mit inhalten, deren bezug zur transzendenz, zum über­schreiten sichtbarer form und substanz, offensichtlich ist, wird die papiersubstanz von diesen konkreten inhalten und bedeutungen befreit. der blick kann nichts mehr ausma­chen, sich an nichts mehr festhalten.in der klaren form tritt wesentlich die transparenz zutage, sie ist die form, der auflösungsprozess bewirkt eine öffnung. die formale klarheit ist der punkt, durch den hindurch sich dem betrachter die weite öffnet, so er sich ein­lässt. ähnlich wie anfänglich die texte ein-ge-lassen wurden ins papier, um dann auf­ge-löst zu werden, kann auch der betrachter angesichts der form ins offene gelangen. eine variation stellt die bodenarbeit dar, bei der der künstler auf einem möglichst glatten betonboden mit kreide schreibt und dies anschliessend wegwischt. die so entstehende kreidefläche lässt wiederum texte nicht mehr erkennen, bezeugt aber den handlungs­raum. auch hier öffnen sich verdichtung und auflösung ineinander.
auf-lösung, er-lösung, sich lösen, ge-lassen werden, lassen können sind metaphern, die eine existenzielle perspektive öffnen und in dieser form ereignis werden.

(marianne hambach)


nach oben