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Thomas Stiegler/Hannes Seidl
das wetter in offenbach

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medium:             
composer:          
performer:
EWR 1310
CD 
Thomas Stiegler/Hannes Seidl

Electronic Music



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das wetter in offenbach

Seit über 16 Jahren fahre ich jede Woche etwa fünfmal nach Offenbach. Und wieder zurück nach Frankfurt. In den ersten Jahren bin ich meist mit der Straßenbahn gefahren. Die ist schön langsam und es bleibt Zeit zum Lesen. Oder zum aus dem Fenster schauen. Leider endet die Bahnlinie 16 mittlerweile an der Stadtgrenze. Da hat man von Offenbach noch nicht viel gesehen.

Später habe ich das Fahrrad bevorzugt. Meine erste Idee für ein Hörstück über Offenbach war ein Mitschnitt solch einer Fahrt. Das schien mir leidlich originell und wäre ja in gewisser Weise auch eine Annäherung an die zu portraitierende Stadt gewesen. Zudem hätte sich der Aufwand sehr in Grenzen gehalten, das Honorar des Hessischen Rundfunks war schließ- lich auch eher umschrieben.

Ehe ich es vergesse möchte ich Herrn Lux vom Deutschen Wetterdienst danken, dem ich neben der Bekanntschaft mit Partikelfiltern, Teilchenzählern und beieindruckenden Großrechnern ein gefestigtes Vertrauer in die Eintreffenswahrschein- lichkeit der Wettervorhersage verdanke.

Aber zurück zur Sache: Das Stadtportrait sollte zwischen 30 und 40 Minuten lang sein, also genau die Zeit die ich benö- tige, wenn ich eher langsam fahre. Das langsam fahren wird für mich ohnehin mehr und mehr zur Regel, schließlich bin ich über vierzig, eigentlich sogar Mitte vierzig, sicher also kein junger Arzt mehr. Ein junger Komponist ist man ja aus uner- findlichen Gründen ungleich länger, nach Lesart mancher Veranstalter und Redakteure offenbar bis ins Rentenalter. Dann beginnt vermutlich unmittelbar das Spätwerk. Wie dem auch sei, eine dieser langsameren Fahrten habe ich jedenfalls auf- gezeichnet. Das Aufnahmegerät hatte ich hierfür außen am Rucksack befestigt, und zwar mit einer wie ich fand sehr geschickten Bindfadenkonstruktion.

Ein besonderer Dank geht übrigens an Frau Dr. Huni sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesmonopol- verwaltung für Branntwein. Dank Ihrer Unterstützung konnte ich herausfinden, welche lyrische Qualität in Maschinen stek- ken, die so prosaische Namen tragen wie Thermoregulator, Einheitsprobennehmer, Gaschromatograph, Temperaturfühler oder Brechungsindexmesser. Meine besondere Liebe gilt allerdings den diversen, teilweise mehr als hundert Jahre alten Alkoholpumpen, die ich bei unserem Rundgang im Behördengebäude kennen lernen durfte.

Der Mitschnitt der Fahrradfahrt, den ich dann abends abhörte, war 33 Minuten lang und leider nahezu vollständig unbrauchbar. Ich hatte mich bisher nie mit Feldaufnahmen beschäftigt. Die gibt es ja scheinbar auch gar nicht. Ich habe die Suchmaschine Forestle mit diesem Begriff konfrontiert. Einer meiner Söhne hat mir nahegelegt, diese Suchmaschine und nicht Google zu verwenden. Mit jeder Suche rette ich durch die Werbeeinnahmen 0,1m2 Regenwald. Das ist doch sehr schön. Und außerdem klingt das irgendwie schwäbisch. Da denkt man gleich an Linsen und Spätzle und hat ein gutes Gefühl.

Forestle geleitet mich jedenfalls auf die österreichische Seite des Bundesforschungs- und Ausbildungszentrums für Wald, Naturgefahren und Landschaft. Hier werde ich darüber informiert, dass bei der Feldaufnahme entlang einer Linie Bodenson- dierungen mit dem Schlagbohrer durchgeführt werden. Das klingt interessant und macht sicher auch spannende Geräusche. Vielleicht bekomme ich nochmal einen Auftrag vom Hessischen Rundfunk für ein Hörstück. Das würde ich dann „Feldaufnahme” nennen. Zu hören wären natürlich ausschließlich Schlagbohrergeräusche. Dauer 30 bis 40 Minuten. Ich wäre auch mit einem bescheidenen Honorar zufrieden.

Ich darf auf keinen Fall vergessen, mich bei den Herren Hammann sen. und jun. sowie der gesamten Belegschaft dieser wun- derbaren Feintäschnerei in der Ludwigstrasse 27 zu bedanken. Das Betreten der Werksräume ist wie eine Reise in eine verwun- schene, längst entschwundene Welt. Laut Herrn Hammann sen. ist der Klang des Hammers auf dem Scherfstein besonders charakteristisch für das Handwerk des Feintäschners. Die von ihm geschilderten vier bis fünf am Scherfstein sitzenden und neben- einander auf die Lederstücke einschlagenden Arbeiter habe ich mit Hannes Hilfe zumindest virtuell für eine halbe Minute wie- der zum Leben erweckt.

Der richtige Begriff für Feldaufnahme ist aber Field Recording. Erfahrung Nummer eins: Der Wind ist der natürliche Feind der Field Recording. Lediglich eine Stelle war brauchbar. Hier musste ich nämlich anhalten, um das gerade verlorene Licht wieder aufzusammeln. Das Licht hatte ich bei Penny gekauft.

Von meinem Vater habe ich die Angewohnheit übernommen, in Supermärkten Billigangebote mitzunehmen. Das sind dann ja meistens Dinge, die man gar nicht braucht. Oder die bereits kaputt sind wenn man sie braucht. Das Fahrradlicht war wie alle Billigangebote sehr billig, daher habe ich es ohne zu zögern mitgenommen. Und es war überraschenderweise sogar funktionsfähig. Noch überraschender war allerdings seine Fähigkeit, Batterien zu verbrauchen. Was den geringen Preis dann schon wie- der relativiert und natürlich eine bedenkliche Umweltsünde darstellt. Als Bußopfer habe ich mir für heute zehn Suchbegriffe bei Forestle vorgenommen.

Auf unerfindliche Weise hat sich auch das Robert Johnson in mein Hörportrait der Stadt Offenbach eingeschlichen. Das allerdings mehr als berechtigt, gehört er doch zu Offenbach wie die Karl-Ulrich-Brücke und das Ledermuseum.

Während ich das Licht aufsammelte, zeichnete mein Aufnahmegerät vorbeifahrende Fahrradräder, raschelndes Herbstlaub und Plätschergeräusche vom Main auf. Das gefiel mir sehr gut. Die beschriebene Sequenz habe ich im Hörstück „Das Wetter in Offenbach” allerdings nicht verwendet. Sie ereignete sich außerhalb des Offenbacher Stadtgebiets noch weit vor der Gerbermühle. Der Main klingt aber anders in Offenbach, auch das Blätterrascheln. Das war Erfahrung Nummer zwei.

Thomas Stiegler